ADHS
22.12.2025

ADHS im Erwachsenenalter – die übersehene Lebensspur einer nicht gestellten Diagnose

ADHS im Erwachsenenalter ist keine Modediagnose, sondern oft übersehen. Eine differenzierte Diagnostik verhindert Fehlzuschreibungen und ermöglicht einen verständnisvollen, selbstwirksamen Umgang mit sich selbst.

Torsten Sochorick
ADHS im Erwachsenenalter

ADHS im Erwachsenenalter – die übersehene Lebensspur einer nicht gestellten Diagnose

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) wird nach wie vor überwiegend als Störung des Kindes- und Jugendalters wahrgenommen. Dabei zeigen zahlreiche Studien und klinische Erfahrungen, dass ADHS in einem erheblichen Teil der Fälle bis ins Erwachsenenalter fortbesteht. Viele Erwachsene mit ADHS leben jedoch jahrzehntelang ohne formale Diagnose – mit weitreichenden Folgen für ihr Selbstbild, ihr Verhalten und ihre psychische Gesundheit.

Wenn ADHS „unsichtbar“ bleibt

Bei Erwachsenen äußert sich ADHS häufig anders als bei Kindern. Die klassische motorische Unruhe tritt oft in den Hintergrund und wird durch innere Getriebenheit, Gedankenrasen, emotionale Impulsivität oder chronische Überforderung ersetzt. Konzentrationsprobleme zeigen sich weniger als offensichtliche Unaufmerksamkeit, sondern eher als Schwierigkeiten mit Struktur, Priorisierung, Zeitmanagement und Durchhaltevermögen.

Gerade Menschen mit hoher Intelligenz, ausgeprägter Kreativität oder starkem Anpassungsverhalten entwickeln früh Kompensationsstrategien. Diese ermöglichen berufliche und soziale Teilhabe – allerdings häufig um den Preis erheblicher innerer Anstrengung. Die eigentliche neurobiologische Grundlage der Schwierigkeiten bleibt dabei unerkannt.

Die Folgen einer nicht gestellten Diagnose

Bleibt ADHS unbehandelt, entstehen oft sekundäre Problemlagen. Viele Betroffene entwickeln im Laufe ihres Lebens zusätzliche Diagnosen, etwa:

  • Depressionen und Erschöpfungssyndrome
  • Angststörungen
  • Burnout
  • Suchterkrankungen
  • emotionale Regulationsstörungen

Nicht selten wird das eigentliche Grundmuster – die ADHS – dabei übersehen. Stattdessen erleben sich die Betroffenen als „nicht belastbar“, „chaotisch“, „zu sensibel“ oder „unzureichend“. Das Selbstwertgefühl leidet erheblich, insbesondere wenn wiederholte Misserfolge in Schule, Ausbildung, Beruf oder Beziehungen auftreten, ohne dass eine erklärende Einordnung erfolgt.

Auswirkungen auf Verhalten und Beziehungen

ADHS im Erwachsenenalter beeinflusst nicht nur die innere Erlebniswelt, sondern auch das zwischenmenschliche Verhalten. Impulsivität, emotionale Überreaktionen oder Rückzug bei Überforderung können zu Missverständnissen und Konflikten führen. Partnerschaften sind häufig durch ein Ungleichgewicht zwischen Nähebedürfnis und Autonomie geprägt, berufliche Kontexte durch Schwankungen zwischen hoher Leistungsfähigkeit und Blockaden.

Ohne Diagnose fehlt häufig das Verständnis – sowohl im Umfeld als auch bei den Betroffenen selbst. Verhalten wird moralisch oder charakterlich interpretiert, statt neurobiologisch und systemisch eingeordnet.

Der diagnostische und therapeutische Wendepunkt

Eine späte ADHS-Diagnose wird von vielen Erwachsenen als tief entlastend erlebt. Sie ermöglicht eine Neubewertung der eigenen Lebensgeschichte und schafft einen Rahmen für Selbstmitgefühl statt Selbstabwertung. Gleichzeitig eröffnet sie gezielte therapeutische Zugänge.

Neben medikamentösen Optionen gewinnen nichtmedikamentöse Verfahren zunehmend an Bedeutung. Dazu zählen psychoedukative Ansätze, systemische Therapie, achtsamkeitsbasierte Verfahren sowie neurophysiologisch orientierte Methoden wie Neurofeedback. Diese können helfen, Selbstregulation, Schlaf, emotionale Stabilität und Aufmerksamkeitssteuerung nachhaltig zu verbessern.

Fazit

ADHS im Erwachsenenalter ist keine „Mode-Diagnose“, sondern eine häufig übersehene neurobiologische Realität. Eine differenzierte Diagnostik kann verhindern, dass jahrelange Fehlzuschreibungen und sekundäre Erkrankungen weiter fortgeschrieben werden. Für viele Betroffene markiert das Erkennen der ADHS nicht das Ende einer Problembeschreibung, sondern den Beginn eines verständnisvolleren und selbstwirksameren Umgangs mit sich selbst.

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